Retro-Konsole Mega Drive Mini im Test: Nintendo ebenbürtig!
Michael macht als freiberuflicher Autor einen Spagat: Er schreibt journalistische Texte für alle möglichen Games-Publikationen, ist aber ebenso an der Entwicklung von kleineren Indie-Games beteiligt. Meistens als Story-Schreiber, Komponist oder Übersetzer. Die gesammelten Erfahrungen in der…
Endlich: Sega schafft es, eine Retro-Konsole zu veröffentlichen, die ihr Geld wert ist, gute Spiele mitbringt und es mit SNES Classic aufnehmen kann. Wir testen die Mega Drive Mini.
Huch? Schon wieder eine von diesen Mini-Konsolen? Tatsächlich hat Sega in den letzten Jahren mehrere Neuauflagen des Mega Drive bzw. Genesis veröffentlicht – zumindest indirekt, denn eigentlich gingen bloß Lizenzen an den Entwickler At Games.
Der wurde nicht müde, äußerst billig produzierte Emulator-Konsolen zu veröffentlichen, die jeden Sega-Fan die Zehennägel hoch kräuseln lässt. Doch nachdem Nintendo mit dem NES Mini und dem SNES Mini ordentlich vorgelegt hat, fasste Sega den Entschluss: Ihr Beitrag zu den Miniaturkonsolen soll ebenbürtig sein! Also haben sie mit M2 das beste Portierungs-Studio für Retro-Games beauftragt und das Design des Gehäuses selbst in die Hand genommen. Warum das Resultat sich sehen lassen kann, lest ihr in diesem Testbericht.
Der Test zum Mega Drive Mini erscheint im Rahmen unserer Themenwelt zu Retro Konsolen. Dort haben etwa bereits die SNES Classic Mini getestet oder geben Tipps, wie sich eine Retro-Konsole mit einem Raspberry Pi bauen lässt.
Wenn man den Mega Drive Mini zum ersten Mal auspackt, kann man nicht anders als verzückt sein: Das robust wirkende Plastikgehäuse hat in etwa die halbe Größe des Originals, sieht dem aber täuschend ähnlich. Bemerkenswert sind die Details: Die Staubschutzklappen des Modulschachts haben tatsächlich eine Federung und geben nach.
Ebenso kann man den Lautstärkeregler bewegen oder den Erweiterungsschacht an der Seite öffnen. Bis auf den Power- und Reset-Knopf (der ins Hauptmenü führt) sind diese Elemente ohne Funktion, aber es ist eine liebevolle Spielerei.
Für den japanischen Markt hat Sega sogar ein Mega Drive Mini Tower DX Pack der Konsole angekündigt. Damit kann man eine 32x-Erweiterung, Spielmodule und einen Mega-CD anstecken. Das ist nur kosmetisch und bisher noch nicht für Europa angekündigt, zollt dem Zusatzgerätwahnsinn aus den 90ern aber Tribut.
Auch ohne die Erweiterungen passt der Mega Drive Mini in seinen Dimensionen aber perfekt neben seine Kollegen. Er fällt neben dem SNES Classic Mini oder der Playstation Classic nicht aus der Reihe. Wo die Controller-Anschlüsse des Originals wären, befinden sich bei dem Mini zwei USB-Anschlüsse. Sehr löblich: Sega legt gleich zwei Gamepads bei, so dass Mehrspielerpartien nichts im Wege steht. Ebenso sind die Kabel mit 2 Meter deutlich länger als bei Nintendos Minis. Blöd ist aber, dass es sich nur um die 3-Button-Varianten des Controllers handelt. Das ist für die meisten Spiele auf der Sammlung kein größeres Problem, aber die Bedienung von Street Fighter II ist damit quasi unmöglich. Die Arcade-Version hatte sechs Knöpfe und war einer der Gründe, weshalb Sega später die 6-Button-Version veröffentlichte. Dritthersteller, wie 8bitdo, rücken aber bereits mit eigenen Controller nach.
Die Verarbeitungsqualität der beiliegenden 3-Button-Controller ist sehr gut. Das Gewicht entspricht den Originalen, die Druckpunkte der Knöpfe fühlen sich sehr ähnlich an. Nach unserem Geschmack wirkt das D-Pad ein wenig weicher, aber das hatte keinen Einfluss auf die Spielbarkeit. Wie beim Original liegen die robusten Pads ergonomisch in der Hand, weil die Rundungen an den Seiten sich in den Handballen schmiegen. Insgesamt sind sie auch größer, was für Hände für Erwachsene angenehmer sein dürfte als z.B. der eckige Controller des NES Mini.
Was Adapter betrifft: Zum Zeitpunkt unseres Test besaßen weder der Wireless USB-Adapter von 8bitdo, noch der Mayflash MAGIC-NS Wireless Adapter eine Unterstützung für den Mega Drive Mini. Es ist aber gut möglich, dass diese aber per Firmware-Update nachgereicht wird, 8Bitdo verspricht das im Blog für den M30-Controller.
Angeschlossen wird der Mega Drive: Mini per HDMI. Ein Micro-USB-Port versorgt das kleine Gerät mit Strom. Ein Stromadapter liegt aber nicht bei. Immerhin kann man aber prinzipiell jedes USB-Ladenetzteil verwenden, wie sie z.B. vielen Smartphones beiliegen. In unserem Test haben 5V und 1 Ampere ausgereicht, das vermutlich auch die meisten USB-Anschlüsse von Fernsehern bieten.
Herzstück einer solchen Mini-Konsole sind selbstverständlich die Spiele. 42 Titel befinden sich in der Ludothek und die Auswahl kann sich sehen lassen! Es ist eine ausgewogene, abwechslungsreiche Auswahl aus bekannten Klassikern und Geheimtipps.
Neben den ersten beiden Sonic -Spielen ist zum Beispiel Phantasy Star IV: The End of the Millennium dabei, eines der besten JRPGs, die je entwickelt wurden. Ebenso mit von der Partie ist Shining Force , der Start einer guten Rollenspiel-Reihe, die im Westen nie zu einem größeren Publikum gefunden hat. Wer lieber direkte Action mag, wird mit Shinobi III: Return of the Ninja Master glücklich. Es ist ein erstklassiger, anspruchsvoller Plattformer. Ebenso wie Earthworm Jim , dessen weiche Animationen in Zeichentrickqualität noch heute begeistern. Spiele wie ToeJam & Earl , Space Harrier II oder Comix Zone sind zwar nicht frei von Mängeln, aber man assoziiert sie zum unverkennbaren Image des Mega Drive. Ärgerlich ist aber, dass Outrun nicht dabei ist, was für viele Spieler eines der Sega-Titel schlechthin sein dürfte.
Zu den Geheimtipps zählen Spiele, die über die Jahre an Ansehen bei enthusiastischen Retro-Gamern gewonnen haben. Folglich sind die Preise für die echten Module teilweise ganz schön angestiegen. Beyond Oasis (PAL-Titel: The Story of Thor ) ist ein Beispiel. Das toll gemachte Action-Adventure erinnert an Zelda , spielt aber in einer orientalischen Welt. Einzeln kann man für ein Exemplar schon einmal 50 Euro auf den Tisch legen. Höher stapelt Castlevania: A New Generation. Einzelne Module gehen da erst ab 60 Euro los, und eine CIB-Version (Complete in Box) liegt im dreistelligen Bereich – weitaus mehr, als der Mega Drive Mini mit seinem UVP-Preis von 72,99 Euro zu Buche schlägt. In der Sammlung finden sich noch weitere Perlen, wie der Shooter Thunder Force III , Monster Hunter World IV oder Landstalker . Wer gerne Schätze entdeckt, liegt bei der Mini-Konsole richtig.
Zwei Spiele feiern sogar ihre Premiere: Die Portierungen des Puzzle-Klassikers Tetris und von dem Shooter Darius erscheinen über das kleine Gerät zum ersten Mal. Zum unsterblichen Tetris muss man ja eigentlich nichts mehr sagen. Darius hingegen dürfte weniger bekannt sein, ist bei Shooter-Fans aber sehr angesehen. Die Reihe wird bis heute fortgeführt und hat mit Dariusburst: Chronicle Saviours (2015) auf der Playstation 4 einen aktuellen Ableger gefunden. Der Ursprung dieses Ports ist nicht geklärt. Man munkelt von einem Hobbyprojekt von einem der Programmierer bei M2. Qualitativ gibt sich Darius auf dem Mega Drive Mini aber keine Blöße und spielt sich erstklassig.
Neben der exzellenten Spieleauswahl gibt es eine Besonderheit: Stellt man die Sprache des Geräts auf eine andere Region um, erscheinen auch die zugehörigen Versionen in der Spielebibliothek. So kann man sich die japanischen Cover anzeigen lassen und sogar die jeweilige Version für das Land spielen. Das macht manchmal einen Unterschied. So ist die japanische Fassung von Dynamite Headdy zum Beispiel etwas leichter und hat andere Bosskämpfe. Leider bringt man damit nicht die Titel zum Vorschein, die exklusiv für den japanischen oder chinesischen Markt sind. Dort fehlen zwar einige Spiele aus der westlichen Version der Miniatur-Konsole, aber dafür müssen wir auf Brecher wie den sensationell guten Shooter MUSHA oder das tolle Taktik-JRPG Langrisser II verzichten.
Die komplette Spiele-Liste (westliche Version):
Wie eingangs erwähnt hat Sega das japanische Studio M2 mit der Software im Mega Drive Mini beauftragt. Das ist bekannt für seine akkuraten Portierungen von Retro-Spielen und Arcade-Klassikern auf neue Systeme. So akkurat tatsächlich, dass sie sogar Grafikfehler des Originals übernehmen, weil man das schließlich nicht verfälschen möchte. Das setzt aber voraus, dass M2 genug Zeit und Budget hat, um an einem Port zu arbeiten. Das ist beim Mega Drive Mini zwar nicht auf dem ersten, auch nicht auf dem zweiten, aber beim dritten, sehr peniblen Blick bemerkbar: Bei dieser Masse an Spielen hat das Studio Kompromisse gemacht, die aber für die meisten Spieler unbedeutend sein dürften. Denn die grundsätzliche Emulationsqualität ist sehr hoch und liegt auf dem Niveau von Nintendo’s Mini-Konsolen. Ausgegeben wird das Bild bei 720p, was für die Retro-Titel ausreicht. Sie sehen auch auf großen Bildschirmen klasse aus.
Besonders enthusiastische Retro-Fans werden leichte Unterschiede bei den Musikstücken bemerken. Es gab damals mehrere Versionen vom Mega Drive, die alle auch ein leicht anderes Soundboard hatten. Differenzen gab es also schon damals. Nichtsdestotrotz klingen hier alle Musikstücke sehr gut. Mit der richtigen Soundanlage haben manche Spiele sogar noch richtig bassigen Druck. Ein weiterer Unterschied ist der Input-Lag. Der liegt gegenüber den Originalen ein paar Millisekunden höher. Das lässt sich heutzutage kaum umgehen, denn der Weg über moderne Flachbildschirme bringt immer eine Latenz mit sich. M2 hat diese so minimal wie möglich gehalten, weshalb der durchschnittliche Spieler keinen Unterschied bemerken wird.
Die Steuerung geht bei allen Titeln akkurat von der Hand. Mit sehr guten Augen (und Ohren) wird man aber bei wenigen Spielen einen minimalen Sound-Delay feststellen können: Der Klang, der beim Einsammeln eines Rings bei Sonic ertönt, kommt zum Beispiel wenige Millisekunden später, als er eigentlich sollte. Gleiches gilt für den Sound von Mega Man’s Blaster. Stören dürfte das aber nur Personen, die ohnehin ihre Originalmaschinen über einen Framemeister angeschlossen haben. Oder vielleicht sogar noch einen Röhrenfernseher besitzen, um das ganz authentische Feeling zu behalten. Für alle anderen sind diese kleinen Latenzen unwesentlich - aktuelle Spiele steuern sich im Vergleich deutlich behäbiger, weil sie bereits mit der Flachbildschirm-Latenz im Hinterkopf designt werden.
Natürlich gibt es übrigens auch hier wieder die obligatorischen Savestates, die man auch von Retroarch oder den anderen Mini-Konsolen kennt. Vier Speicherplätze stehen pro Spiel zur Verfügung. Die sind mit einem Screenshot von der gerade pausierten Spielszene versehen und schnell geladen.
Keine Frage: Der Mega Drive Mini ist die bisher detailverliebteste Mini-Konsole. Die äußeren Details am Gehäuse sind eine Spur liebevoller umgesetzt als bei der Konkurrenz. Auch technisch macht das kleine Ding alles richtig: Bild, Sound und Emulationsqualität befinden sich auf hohem Niveau. Die Controller sind gut verarbeitet, haben mit 2 Meter eine ausreichende Kabellänge und kommen beim Kauf gleich im Doppelpack.
Auch wenn Sega nicht komplette Reihen, wie etwa die originale Sonic Trilogie oder alle Phantasy Star-Titel mit aufgenommen hat, kann die Spieleauswahl sich sehen lassen. Sie ist abwechslungsreich und findet eine gute Balance zwischen Klassikern, Kuriositäten und Geheimtipps. Ein richtig schlechtes Spiel ist nicht dabei. Für den UVP-Preis von 72,99 Euro können wir eine klare Kaufempfehlung aussprechen. Auch an Personen, die den originalen Mega Drive damals verpasst haben. Das kleine Ding ist eine schöne Zeitreise-Maschine und bildet eine historisch wichtige Ära von Sega gut ab.
Aber Vorsicht! Auf den Marktplätzen sind viele Produkte unterwegs, die man mit dem Mega Drive Mini verwechseln kann. Zum Beispiel gibt es den Sega Megadrive Flashback HD, der auf Produktbildern sehr ähnlich aussieht, aber qualitativ meilenweit hinterherhinkt. Wir haben in unserem Preisvergleich das korrekte Gerät verlinkt.